Durchstarten in die Selbstständigkeit

Freiberufliche Pflegekräfte sind heute sehr gefragt, vor allem in OP- und Intensivabteilungen. Sie sind, anders als Leiharbeiter, nicht bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, sondern tragen ihr unternehmerisches Risiko selbst. Das bedeutet zwar höhere Honorare, aber auch Einnahmeausfälle bei Urlaub und Krankheit. Trotzdem wählen viele Pflegekräfte bewusst diesen Weg und die damit verbundenen Herausforderungen. 

Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege ist ein wachsender Markt. Kolleginnen und Kollegen, die „auf Zeit“ aushelfen, sind in Kliniken und Einrichtungen längst Alltag geworden. Immer öfter begegnet man aber auch Honorarkräften. „Ja, geht denn das als Krankenschwester oder Pfleger – noch nie gehört. Honorarärzte ja, aber Pflegekräfte? Ist das nicht dasselbe wie Leiharbeit?“ Fragen wie diese hören die Freiberufler häufig bei ihren Einsätzen. Hohe Bereitschaft zur Flexibilität
Der Unterschied ist jedoch groß, sowohl aus Sicht der Klinik als auch aus Sicht der Pflegekraft: Freiberufler arbeiten wie Honorarärzte auf eigene Rechnung. Sie schließen mit einer Klinik direkt einen Vertrag über eine bestimmte Zeitspanne, reisen dann weiter zum nächsten Auftraggeber. Zumeist arbeiten sie zwei oder mehr Wochen am Stück, um dann wieder mehrere Tage zu Hause bei der Familie zu verbringen. Die geballten Einsätze sorgen für höhere Einnahmen im Verhältnis zu festangestellten Kollegen. Der Einsatz dafür ist eine hohe Bereitschaft zur Flexibilität.
Viele Kräfte reisen durch ganz Deutschland, leben mal hier, mal dort einige Wochen in Schwesternheimen und Hotelzimmern. Da auch Freiberufler erst dann hinzugeholt werden, wenn es auf der Station brennt und Kräfte fehlen, erhalten sie ihre Aufträge sehr kurzfristig. Zu wissen, bei wem man in einem halben Jahr arbeiten wird, ist eher die Ausnahme. Dies ist ein wesentlicher Gegensatz zu Leiharbeitern, die bei Firmen angestellt sind und oftmals eher über längere Zeiträume „verliehen“ werden.Trotzdem wählen Freiberufler aus Überzeugung und ganz bewusst diesen Weg und auch die damit verbundenen Herausforderungen: „Ein großer Unterschied ist sicher die Anforderung an die Qualität. Ein Freiberufler ist selbstständig, er muss sich mit einer guten Leistung empfehlen, sonst bleiben die Aufträge auf Dauer aus“, erklärt Joachim Bambach auf die Frage, was nun Freiberufler von Leiharbeitern am meisten unterscheidet. Er hat als examinierter Krankenpfleger in verschiedenen Fachbereichen in Kliniken gearbeitet, bevor er selbst Freiberufler wurde. Als Vorteile sieht er: „Das Arbeiten aufgrund einzelner Werkverträge bietet beiden Seiten mehr Flexibilität. Der Freiberufler bestimmt letztlich, ob er Anfragen annimmt, wo er arbeiten möchte und wo nicht und wie lange. Und die Klinik bucht und zahlt nur, was sie wirklich braucht – sei es für einzelne Tage oder ganze Monate.“Ähnlich sieht es Ulrike Waerder aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Sie arbeitet seit 2009 freiberuflich – aus Überzeugung und ganz bewusst. Und sie würde ihr Freelancer-Dasein derzeit auf keinen Fall gegen Leiharbeit tauschen: „Dort ist man angestellt, hat also feste Verpflichtungen, und das fast immer zu schlechteren Konditionen als die Angestellten des Auftraggebers, mit denen man zusammenarbeitet. Dazu werden Leiharbeitnehmer häufig mit Aufgaben konfrontiert, für die sie nicht ausgebildet sind. Sie sind überfordert, und der Auftraggeber ist unzufrieden. Das führt zu Frust auf beiden Seiten. Selbstständig arbeiten in einer guten Geschäftsbeziehung sieht anders aus.“ Anke Krammer aus Süddeutschland kennt beide Seiten. Sie arbeitete in Festanstellung als Leitung einer Intensivstation, bevor sie selbst als Freiberuflerin startete. Auf ihrer Station waren in den letzten Jahren laufend freiberufliche Kräfte eingesetzt, im Schnitt ständig fünf bis sechs Vollzeitkräfte. Mit Leiharbeit hat sie dabei „leidvolle Erfahrungen“ gemacht, wie sie schildert: „Es zeigte sich, dass die Mitarbeiter der Leiharbeitsfirmen nicht die nötigen Qualifikationen hatten oder aber gerade in den Fachpflegebereichen die guten und wirklich qualifizierten Mitarbeiter zu 95 Prozent nur als freiberufliche Pflegekräfte zu finden sind.“Letztlich wurden in ihrer Klinik examinierte Fachkräfte fast nur noch unter Freiberuflern gesucht. Nur bei Hilfspersonal griff man auf die Leiharbeit zurück. „Hier ist das Angebot einfach größer und natürlich existiert auch ein anderes, niedrigeres Preisniveau“, so Krammer.Höhere Honorare, aber auch höhere Risiken
Die Honorare sind der vielleicht wichtigste Unterschied aus Sicht der Pflegekraft selbst. Die Stundensätze bewegen sich bei gut 30 Euro für examinierte Kräfte in der stationären Pflege, bis zu weit über 40 Euro für hochqualifizierte OP-Pflegekräfte mit Erfahrung oder Fachweiterbildung. Da Freiberufler Engpässe abfangen und meist nicht nur acht Stunden arbeiten (die gesetzlichen Regelungen für Arbeitnehmer gelten für sie ja nicht), sind 300 oder 400 Euro pro Tag realistisch. Dazu kommen Spesen und Übernachtungskosten, die in der Regel die Auftraggeber zahlen. Allerdings relativieren sich diese Zahlen sehr schnell, denn die freiberufliche Kraft ist ja selbstständig. Das heißt, von den Einnahmen müssen zum Beispiel Steuern, Renten- und Kranken­ver­si­che­rung finanziert werden, ebenso Urlaubs- und mögliche Krankheitszeiten. „Die Sorge um die Anschlussaufträge und ein gewisses finanzielles Polster zur Vorsorge bei Ausfällen ist gerade zu Beginn der Selbstständigkeit groß. Ohne Auftrag keine Einnahmen! Das gilt auch für Urlaub, Krankheit und freie Tage. Die Fixkosten müssen dauerhaft gedeckt sein“, bringt Ulrike Waerder die Risiken für die Pflegekraft auf den Punkt. Und noch etwas ist anders, wie es Anke Krammer erklärt: „Die größte Schwierigkeit ist die externe Arbeit beziehungsweise die viele Zeit, die man nicht zu Hause verbringt. Das größte Risiko ist mit Sicherheit Krankheit mit Verdienstausfall bei weiterlaufenden Kosten.“Nicht jeder kommt mit der Selbstständigkeit klar
Entsprechend ist eine freiberufliche Tätigkeit nicht für jeden geeignet. Neben den notwendigen rechtlichen Voraussetzungen rund um die Selbstständigkeit spielt die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle, erklärt Joachim Bambach aus seiner Erfahrung. „Man muss zuerst mit dem Risiko als Selbstständiger leben können. Außerdem muss man örtlich, zeitlich und auch räumlich flexibel sein. Und es gehört ein hohes Maß sozialer Kompetenz dazu. Man muss sich schnell auf Umgebungen einstellen und ohne große Einarbeitungszeit loslegen können. Und die Bereitschaft muss da sein, sich den unterschiedlichen Gegebenheiten zu stellen, sich pro-aktiv zu verhalten.“Ulrike Waerder würde deshalb nicht jedem raten, ihrem Vorbild zu folgen: „Wer nicht allein stehend ist, vielleicht Kinder zu Hause hat, dabei nicht mit der vollen Unterstützung der Familie rechnen oder verlässliche Hilfe organisieren kann - der wird es schwer haben. Ebenso Kollegen, die sich nicht als Unternehmer in eigener Sache verstehen, die sich nicht um alles selbst kümmern wollen, von der Akquise über Versicherungen, Altersversorgung, Finanzamt und so weiter, sondern die lieber geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten und ein sicheres Einkommen - auch bei Ausfallzeiten – haben. Denen würde ich eher abraten.“

Mehr Anfragen als Freiberufler: Alltag der Vermittlungsagenturen

Fehlende Aufträge dürften für die beiden in naher Zukunft nicht die Frage sein. „Gerade in der Funktionspflege, im Bereich Intensiv-, Anästhesie und OP, kommen wir den Anfragen trotz aller Anstrengungen nicht hinterher“ schildert Joachim Bambach den Alltag in seinem Unternehmen. Er hat 2008 begonnen, nicht nur für sich Aufträge zu suchen, sondern auch für Kollegen. Zuerst für eine Handvoll und als Einzelkämpfer. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die Agentur Netzwerk-Pflege24, in der heute mehrere Personalagentinnen jeden Tag ihr Bestes geben, um die Anfragen von Kliniken, Krankenhäuser, Altenpflegeeinrichtungen oder auch Pflegediensten zu bedienen – unterstützt von einer Niederlassung und Kräften im Backoffice.Die Agenturen spielen eine nicht unwichtige Rolle für die Freiberufler und Kliniken: Wer tagsüber im OP steht, um Geld zu verdienen, kann sich nur schwer zeitgleich um neue Aufträge kümmern. Das erledigt die Agentur im Auftrag. Idealerweise ist sie bereits gut etabliert und hat Stammkunden, so ist die Chance für den Freiberufler höher, laufend ausgelastet zu sein.Dass die Kliniken fast ausschließlich auf Agenturen zurückgreifen, hat eine rechtliche und eine zeitlich bedingte Seite: Die Agentur prüft jeden Freiberufler, lässt sich Unterlagen und Nachweise vorlegen und sorgt damit für eine größtmögliche Rechtssicherheit - auch oder gerade im Hinblick auf eine mögliche Scheinselbstständigkeit. Meist ist es die Pflegedienstleitung, die den Mangel verwalten und die Lücken in den Dienstplänen irgendwie stopfen muss. Es ist für sie schlicht einfacher, einer oder mehreren Agenturen mit einem Anruf oder einer Mail den Bedarf weiterzugeben, als selbst im Internet viele Stunden mühsam nach Honorarkräften zu suchen.Anke Krammer sieht den Vorteil der Agenturen vor allem im persönlichen Kontakt: „Die vorherige Abklärung von Leistungsmerkmalen und angepasstem Angebot durch eine gute Bedarfsanalyse ist sehr wichtig. Damit verringert sich das Risiko, Freiberufler zu bekommen die nicht auf die Station passen. Das bedeutet weniger Aufwand für die Einarbeitung und eine höhere Qualität in der Zusammenarbeit.“Vermittlungsagenturen - ein wachsender Markt
Wer im Internet nach Honorarkräften in der Pflege sucht, bekommt schnell Dutzende Vermittler und Agenturen angezeigt. „Es ist ein Markt mit großen Zukunftschancen, entsprechend tummeln sich auch viele, die wir womöglich nicht lange sehen werden“, so Joachim Bambach. Genaue Zahlen, wie viele Agenturen es gibt, wie viele Freiberufler bei ihnen in den Karteien stehen, gibt es bisher nicht. Aber es herrscht Aufbruchstimmung in der Branche. Eine große Auswahl an Agenturen, die verschiedene Schwerpunkte bedienen, unterschiedlich arbeiten, sich zum Beispiel auch auf Fachbereiche konzentrieren, sieht Bambach durchaus als Vorteil – für Freiberufler und Kliniken. „Es geht hier auch um den persönlichen Kontakt, nicht jeder kann mit jedem gleich gut arbeiten.“Aber wie erkennt man eine seriöse Agentur? „Sie versteht sich als Partner für beide Seiten. Sie berät fair, hat transparente Vereinbarungen und Preise, nimmt die rechtlichen Fragen für beide Seiten ernst.“ Die Agenturen leben von Provisionen, die – je nach gewähltem Modell – entweder von den Auftraggebern, von den Freiberuflern oder von beiden bezahlt werden. Egal, nach welchem Modell gearbeitet wird: Es ist immer ratsam, das Kleingedruckte vor dem Abschluss von Verträgen genau zu lesen.

Bambach nennt noch ein wichtiges Kriterium: „Eine gute Agentur kümmert sich auch dann, wenn es einmal schwierig wird.“ Und das kann auch bei Freiberuflern passieren – auch hier sind es Menschen, die auf andere treffen. Konflikte mit angestellten Kollegen oder Ärzten, ein Ausfall wegen Krankheit – das gibt es natürlich auch hier. Nicht selten ist die Agentur dann die neutrale „Schiedsstelle“ bei Auseinandersetzungen. Einmal geht es darum, das berechtigte oder vertragliche Interesse der Freiberufler durchzusetzen. Ein andermal sind es die Rechte der Kliniken als Auftraggeber. Oder wie es Ulrike Waerder treffend bezeichnet: „Agenturen vermitteln Selbstständige – Leiharbeitsfirmen versenden Angestellte!“Das rasche Wachstum der Agentur Netzwerk-Pflege24 und anderer dürfte die allgemeine Entwicklung beispielhaft abzeichnen: Das Institut für Arbeit und Technik (IAT) schätzt die Anzahl der Leiharbeiter oder Leasingkräfte in der Pflege auf rund 19 250 in Deutschland (1) – die freiberuflichen Fachkräfte sind hier nicht berücksichtigt, da sie bisher in keiner Statistik erfasst sind. Aber selbst wenn es mehrere Tausend in Deutschland wären - angesichts geschätzter 70 000 fehlender Stellen (2) in den Krankenhäusern Deutschlands ist das nur ein kleiner Tropfen auf den sprichwörtlich heißen Stein. Verstärken Freiberufler den Mangel an Pflegefachkräften?
Wer sich heute entscheidet, als Honorarkraft zu starten, dürfte also mittelfristig keinen Mangel an Anfragen haben. Kritiker werfen Freiberuflern und Leiharbeits-Firmen nun gleichermaßen vor, dass sie das Problem nur verlagern. Ein Freiberufler mehr bedeutet auf der anderen Seite ja, dass irgendwo eine angestellte Kraft fehlt – wird der vielzitierte Pflegenotstand damit nicht noch verschärft? Denn um eine 24-Stunden-Versorgung aufrecht zu erhalten braucht man auch in Zukunft genügend angestellte Kräfte. Ist die Freiberuflichkeit also nicht nur eine Möglichkeit, mehr Geld aus dem System zu holen?Die Freiberufler sehen es anders. Für viele waren Stellenabbau, schlechte Organisation, Managementfehler und Überlastung ein Grund für den Schritt in die Selbstständigkeit. „Es geht einfach immer weniger um den Patienten, die vielfältigen Mängel und der steigende Druck wurden immer gravierender. Irgendwann kann man manches mit seinem Gewissen als verantwortliche Pflegekraft einfach nicht mehr vereinbaren“, so Joachim Bambach. Die Einsätze auf Zeit boten ihm die Möglichkeit, wieder deutlich gewissenhafter arbeiten zu können. Daraus bezieht er auch seinen Antrieb als Vermittler: Er möchte Kollegen helfen, die unter demselben Druck standen, ihren wichtigen Beruf wieder lukrativ und mit mehr Freude und Zufriedenheit wahrzunehmen.Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) nennt den Grund des Personalmangels in einem Positionspapier zum Pflegenotstand 2010 beim Namen: „Entscheidungsträger in Politik, bei Kostenträgern und auf Ebenen der Träger und Geschäftsführungen von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen haben bewusst Strukturen gestaltet und Prioritäten gesetzt, die durch massiven Stellenabbau beziehungsweise kontinuierlich steigende Arbeitsbelastung zur Überlastung von Pflegekräften und letztlich dem Pflegepersonalmangel geführt haben. Immer weniger Pflegende sind bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. In Deutschland gibt es also keinen absoluten Mangel an Pflegefachkräften, sondern einen Mangel an Fachkräften, die bereit sind, unter den gegenwärtigen Bedingungen zu arbeiten.“Zur Kritik der Problemverlagerung meint Bambach: „Ja, wir Freiberufler nutzen vielleicht das System – aber wir sind nicht der Grund, warum es krank ist. Und schließlich ist eine höhere Flexibilität im Sinne von Freiberuflichkeit der Zukunftstrend schlechthin in unserer Gesellschaft – auch in der Pflege.“
Literatur:
(1) IAT, Institut für Arbeit und Technik, Bochum: Forschung Aktuell 10/2010: Das letzte Mittel? Leiharbeit in der Pflege
(2) Simon, M. (2008): Personalabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser. Hintergründe - Ursachen - Auswirkungen. Bern: Hans Huber

 

Quelle: Christine Wicht, "Durchstarten in die Selbstständigkeit", http://www.station24.de/fachartikel-bildung/-/content/detail/503908, 10.10.2011

Christine Wicht, "Durchstarten in die Selbstständikgeit", DIE SCHWESTER DER PFLEGER, 10/2011, S. 38-41

 

Wir bedanken uns beim Bibliomed-Verlag für die Genehmigung der Veröffentlichtung!

 

 



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